Vision für die Jugend in Eitorf

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SV 09 EITORF: VISION FÜR DIE JUGEND IN EITORF

Der Slogan vom SV 09 Eitorf: „Talente fördern. Niemanden zurücklassen.“[Foto: Getty Images/Jürgen Schwarz]

Der SV 09 Eitorf aus dem Rhein-Sieg-Kreis bei Bonn ist ein Amateurverein, wie es Tausende in Deutschland gibt. Und dennoch ist der Klub besonders. Die Verantwortlichen haben ein Vereinskonzept entwickelt, mit dem sie neue Wege gehen. Für den Klub sollen künftig vorwiegend Fußballer*innen aus der direkten Umgebung auf dem Rasen stehen. Im Fokus steht die Nachwuchsarbeit. Der Slogan lautet: „Talente fördern. Niemanden zurücklassen.“

„Neo! Neo! Neo!“ Immer wieder rufen die Jungs und Mädchen den Namen ihres Torhüters. „Neo! Neo! Neo!“ Der Neunjährige, blonde Haare bis auf die Schultern, das orangefarbene Trikot etwas zu groß, steht auf der Torlinie. Neo erwartet den Siebenmeter eines Schützen der gegnerischen Mannschaft. „Neo! Neo! Neo!“ Der andere Junge legt den Ball auf den Punkt, er konzentriert sich, er läuft an, er schießt – und Neo hält. Die Kinder stürmen auf ihren Freund zu, jubeln, fallen ihm um den Hals, reißen ihn um. Die U 10 des SV 09 Eitorf hat gewonnen.

Es ist ein normaler Samstagmittag auf der Anlage des Vereins aus dem Fußball-Verband Mittelrhein (FVM). Hinter dem Fangnetz für die Bälle, die beim Schusstraining ihr Ziel deutlich verfehlen, bahnt sich die Sieg träge ihren Weg, bevor sie bei Bonn auf den Rhein trifft. Der Herbst ist da. Die Temperaturen sind zwar noch ungewöhnlich mild. Aber die Bäume verlieren ihr goldenes Laub, es bedeckt an einigen Stellen den Kunstrasen. Die Kinder, die gerade ihrem Hobby nachgehen, bekommen davon nichts mit. Sie wollen Tore schießen, Gegentreffer verhindern, gewinnen, Spaß haben. Mit ihren Freund*innen aus dem Ort.

Um das zu ermöglichen, hat der Klub aus dem RheinSieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen vor drei Jahren ein spannendes Projekt gestartet. Die Verantwortlichen haben dem Verein neue Strukturen gegeben. Einiges ist seitdem anders. Aber ist es nun auch besser? „Mit Gewissheit können wir diese Frage erst in fünf, vielleicht in zehn Jahren beantworten“, sagt Sascha Grendel. Der 47-Jährige ist erster Vorsitzender des SV 09 Eitorf. Gemeinsam mit seinen Vereinskollegen hat er die Neuausrichtung des Klubs strukturiert. Torsten Bourauel ist der Projektleiter des Vereinskonzepts, das unter dem Slogan „Talente fördern. Niemanden zurücklassen.“ läuft. Bei Bourauel laufen alle Fäden zusammen.

„Beim FC spiele ich nur mit Mädchen, hier in Eitorf ausschließlich mit Jungs. Das ist super so, weil ich die Jungs hier fast alle aus meiner Schule kenne. Ich möchte gerne so lange wie möglich mit meinen Freunden hier spielen.“

LANGFRISTIG GEWINNEN

Aber worum geht es dabei konkret? Die Vision sieht so aus: Die Nachwuchsarbeit steht über allem. Im besten Fall sollen die Spieler*innen bereits im Bambini-Alter den Weg zum SV 09 Eitorf finden und in der Ballschule Spaß am Kicken entwickeln. 15 Jahre später sollen sie dann zu den Leistungsträger*innen der eigenen Seniorenmannschaften zählen. Klingt gut, aber ist das realistisch? „Wir wollen in erster Linie auf Spielerinnen und Spieler aus unserem direkten Umfeld setzen und wegkommen von Fußballern, die nur des Geldes wegen unser Trikot tragen“, sagt Grendel. „Uns ist bewusst, dass wir damit kurzfristig unsere Seniorenmannschaften schwächen, aber langfristig werden wir dadurch gewinnen.“ Damit der Umbau nicht zu schmerzhaft und mit zu vielen Niederlagen und Enttäuschungen verbunden ist, haben die Verantwortlichen – mit starker Einbindung der Spieler – entschieden, die erste Mannschaft aus der Kreisliga A in die B-Klasse zurückzuziehen. Langfristig soll das Team eine gute Rolle in der Bezirksliga spielen. Bei den Frauen genauso.

„Bei uns steht jetzt die Ausbildung jedes einzelnen Spielers und jeder einzelnen Spielerin im Vordergrund. Die individuelle und umfassende Förderung soll entscheidend sein. Neben den sportlichen Ausbildungsinhalten sollen auch gesellschaftliche Werte und die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendspielerinnen und -spieler gefördert werden“, erklärt Bourauel. „Wir wollen mittelfristig zu den Top-Ausbildungsvereinen im Rhein-Sieg-Kreis im Amateurbereich gehören. Aber wir wissen auch, dass das nur gelingen kann, wenn wir hervorragend ausgebildete Trainerinnen und Trainer und bestmögliche Bedingungen haben.“

Gleichzeitig ist den Verantwortlichen eines ganz wichtig zu betonen: Der SV 09 Eitorf hat nicht das Ziel, sich zu einem reinen Leistungszentrum zu entwickeln. „Wir wollen neben der leistungsorientierten Ausbildung der Spielerinnen und Spieler den Breitensportcharakter nicht verlieren und werden daher, insbesondere in den unteren Jugendmannschaften, mehrere Teams pro Jahrgang melden“, sagt Grendel. Finanziert wird das alles ausschließlich aus den Mitgliedsbeiträgen. Der Verein will allerdings nicht nur nach innen optimale Bedingungen schaffen, er will sich auch nach außen zeitgemäß präsentieren. Daher zielt das Vereinskonzept nicht nur auf den sportlichen Bereich, sondern geht weit darüber hinaus. Es bietet konkrete Lösungsvorschläge, unter anderem zur Corporate Identity und zum Sport-Sponsoring. Es definiert Strukturen und gibt Werte und Handlungsempfehlungen vor.

POSITIVES FEEDBACK

Weil die Verantwortlichen wissen, dass auch in diesem Zusammenhang das Ehrenamt unbezahlbar ist, nimmt der SV 09 Eitorf am Pilotprojekt des DFB, dem „UEFA GROW SROI Model“, teil. Die Leitung hierzu hat Michael Ganz inne. Die Auswertung zeigt eindrucksvoll, dass Amateurfußball nicht nur eine der schönsten, sondern auch die vermutlich wertvollste Nebensache der Welt ist. Denn über das Modell lässt sich der Wert des Amateurfußballs für die Gesellschaft, die Wirtschaft und das Gesundheitssystem in Deutschland berechnen und beziffern. Und dieser beträgt bundesweit 13,9 Milliarden Euro. Das Ehrenamt ist damit der wertvollste Kader der Welt (weitere Infos gibt es auf ehrenamtistunbezahlbar.dfb.de ). Zeitnah sollen auch die individuellen Zahlen des SV 09 Eitorf vorliegen, sodass der Verein seinen individuellen Mehrwert für die Gesellschaft bzw. seine soziale und ökonomische Wertschöpfung darstellen kann.

Stefan Quadt (40) ist in Eitorf Trainer der U9. Quadt und den anderen Übungsleiter*innen kommt im Konzept des Vereins eine besondere Verantwortung zu. Ihr Engagement entscheidet darüber, ob die theoretischen Grundlagen, die vielversprechend klingen, auch in die Praxis überführt werden können. „Kommunikation ist das A und O“, sagt Quadt. „Natürlich stoßen wir immer wieder mal auf Widerstände, auch bei den Eltern. Aber im direkten Gespräch können wir unsere Argumente vortragen und damit fast immer überzeugen.“

Das Feedback zum neuen Konzept ist bisher nahezu durchweg positiv. Auch während der Corona-Pandemie hat der Verein keine Mitglieder verloren. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Der SV 09 Eitorf wird größer und größer. Und genau diese eigentlich erfreuliche Entwicklung stellt die Verantwortlichen vor Probleme. Um den 20 Jugend- und drei Erwachsenenmannschaften ausreichend Trainingsmöglichkeiten zu geben, ist dringend ein zweiter Platz nötig. Hierzu findet seit längerem ein Austausch mit der Gemeinde statt – bisher offenbar ohne durchschlagenden Erfolg. Teilweise müssen sich vier, in Spitzenzeiten sogar noch mehr Teams die Kunstrasenanlage teilen.

DOPPELTES SPIELRECHT

An diesem Samstagmittag finden parallel Begegnungen der D-Junioren und der U 10 statt. Gerade hat Anna den Ball am Fuß. Sie wird bald neun Jahre alt; Anna gehört ebenfalls zur U 10 des SV 09 Eitorf. Sie ist das einzige Mädchen im Team und spielt auch für den 1. FC Köln. Dort wird sie von Lena Lotzen trainiert, der ehemaligen deutschen Nationalspielerin, die auch zum Trainer*innenstab der U 17-Juniorinnen des DFB zählt. „Beim FC spiele ich nur mit Mädchen, hier in Eitorf ausschließlich mit Jungs. Das ist super so, weil ich die Jungs hier fast alle aus meiner Schule kenne. Ich möchte gerne so lange wie möglich mit meinen Freunden hier spielen“, erzählt Anna, die den Traum hat, irgendwann in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga zu spielen. „Neulich war ich mit meinen Eltern und meinen beiden Geschwistern beim Spiel zwischen Leverkusen und Köln. Leider haben die Leverkusenerinnen gewonnen. Aber es war dennoch richtig cool. Da möchte ich auch hin“, sagt Anna.

Anna ist ein Paradebeispiel für das neue Konzept des SV 09 Eitorf. Zweimal in der Woche trainiert sie mit ihren Freunden vor Ort, außerdem einmal beim 1. FC Köln unter sehr professionellen Bedingungen. Dazu, wenn es zeitlich passt, hat sie zwei Spiele am Wochenende, eines für Eitorf, eines für den FC. Macht zusammen fünf Fußballeinheiten pro Woche. Das ist das perfekte Fundament, um in jungen Jahren die Grundlage für eine gute Karriere als Fußballerin zu legen. Die mittelfristig vielleicht sogar bis in die Nationalmannschaft führt? „Wir sind stolz über jede Spielerin und jeden Spieler, die oder der bei uns ausgebildet wird, und es weit nach oben schafft“, sagt Grendel, der erste Vorsitzende. „In solchen Fällen tut der Abschied, der irgendwann zwangsläufig erfolgen muss, auch nicht weh, weil es ein Zeichen dafür ist, dass wir hier richtig gute Arbeit leisten.“

Aber ob es jemand in den gehobenen Amateurbereich oder vielleicht sogar den Profifußball schafft, ist beim SV 09 Eitorf zweitrangig. Viel wichtiger ist den Verantwortlichen, dass ihr Verein ein zentraler Anlaufpunkt im Ort und das Zuhause für viele Fußballer*innen ist. „Wir lassen niemanden zurück. Bei uns ist jeder willkommen“, betont Grendel. „Wichtig ist nur, dass sie oder er Spaß am Fußball hat und unsere Werte mitträgt. Alles andere bekommen wir gemeinsam hin.“